Höhenflug

Ich musste siebenunddreißig Jahre alt werden, um mich zum ersten Mal in meinem Leben so richtig zu verlieben. So mit Herzklopfen und allem Drum und Dran. Dabei war ich eher ein bodenständiger Mensch, der Höhenflüge bei anderen bisher immer belächelte.

Sie hieß Susanne, war gerade zweiundzwanzig und das schönste Mädchen, das mir bis zu diesem Augenblick begegnet war. Ich saß bei einem Schönheitswettbewerb in der Jury und als die vierzehn Teilnehmerinnen in ihren Bikinis auf die Bühne kamen, nein, herein schwebten, hatte ich nur noch Augen für die Zweite von links, die blonde Schönheit mit den langen Beinen und dem silberfarbenen Zweiteiler. Klar, dass sie von mir die höchste Punktzahl bekam und zu meiner großen Freude den Wettbewerb gewann.

 

Nach der Veranstaltung scharten sich die Reporter und Gratulanten um Susanne und ich ließ es mir nicht nehmen, sie ebenfalls zu beglückwünschen. Anschließend gab es noch eine kleine Feier, auf der ich meine „Miss Saarbrücken“ nicht aus den Augen ließ, obwohl ich solchen Festen und Gesellschaften lieber aus dem Wege ging. Was ich mir nie hätte träumen lassen geschah: Auch Susanne schien großes Interesse an mir zu haben und suchte fortan meine Nähe. Ich wurde ihr ständiger Begleiter. Da ich gemeinsam mit meinem besten Freund Johannes eine kleine, aber gutgehende Computer- und Softwarefirma hatte, konnte ich mir diese Auszeit leisten.

 

In den nächsten Wochen ging es von einer Party zur anderen, von Fototermin zu Fototermin und ich beriet sie sogar bei der Wahl ihrer Garderobe. Ich kannte mich plötzlich selbst nicht mehr wieder und musste mir so manchen Spott von Freunden anhören.

„Die ist doch viel zu jung für dich, Marco“, meinte meine Schwester Gabi.

„Die nutzt dich nur aus, wirst es sehen“, sagte Johannes. „Lass dich von ihr nicht zum Hampelmann machen.“

Aber ich war so verliebt, dass mir der Blick für die Realität abhanden gekommen war.

Als Susanne einen Zeitvertrag bei einer Modelagentur bekam, freute ich mich mit ihr und wir verlobten uns endlich. Dann wurde sie unverhofft schwanger und der erste Schatten fiel auf unser Glück. Ich freute mich, Vater zu werden, doch sie zeigte wenig Begeisterung darüber, dass sie bald mit dickem Bauch herumlaufen würde. Sie sah ihre Karriere als Model gefährdet, denn es gefiel ihr gut, im Rampenlicht zu stehen. Wir heirateten früher als geplant, aber vorerst sollte niemand von der Schwangerschaft erfahren. Als Susannes Babybauch allmählich sichtbar wurde, war ihr Chef nicht gerade begeistert.

 

Susanne wurde immer dicker und sie fühlte sich plötzlich von einem Tag auf den anderen hässlich.

„Du bist für mich immer noch die Schönste“, beruhigte ich sie liebevoll und ehrlich. Ich wollte sie in den Arm nehmen, doch sie brach in Hysterie aus und stieß mich von sich.

„Du bist doch Schuld an allem. Warum hast du beim Sex nicht aufgepasst? Ich habe nie ein Kind gewollt. Model will ich werden, sonst nichts.“

Ich fiel bei diesem Gefühlsausbruch aus allen Wolken und vom siebten Himmel direkt auf den Boden der Tatsachen. Aber ich wollte nicht aufhören daran zu glauben, dass sich alles wieder einrenken würde, wenn erst das Kind da war. Schwangere, so meinte einmal meine Schwester, neigten oft zu hysterischen Ausbrüchen und Depressionen, das würde sich wieder legen.

 

Da Susanne das Angebot ihres Chefs, für Umstandsmode zu laufen, kategorisch ablehnte, blieb sie erst einmal zu Hause. Ich schlug ihr gemeinsame Ausflüge vor, doch sie schrie nur wütend: „Damit man mich so sieht? Das kannst du abhaken.“

Selbst eine Urlaubsreise nach Italien lehnte sie ab und bald wusste ich nicht mehr, womit, außer vielleicht einem kostbaren Schmuckstück, ich sie noch erfreuen konnte. 

„Koch uns doch mal etwas Feines“, munterte ich sie einmal auf, um sie aus diesem Zustand herauszuholen. Doch sie lachte nur: „Kochen? Ich bin doch nicht deine Köchin und schon gar nicht dein Dienstmädchen.“

Wieder fügte sich ein Stich zu den bereits vorhandenen in meiner Brust und als ich eines Tages ihre Nörgelei und ihre steigende schlechte Laune nicht mehr ertragen konnte, war ich wieder öfter in der Firma. Machte freiwillig Übersunden.

„Du siehst nicht gut aus, Marco“, sagte Johannes eines Tages. „Aber ich habe dich ja vor dieser Beziehung gewarnt. Mädchen wie Susanne brauchen nur jemanden, der sie finanziell versorgt.“

„Sie hat doch auch schon gut verdient“, nahm ich meine Frau in Schutz. „Wenn erst das Kind da ist und sie wieder arbeiten kann, wird bestimmt alles so wie früher sein.“

Glaubte ich etwa selbst, was ich da eben von mir gab? Die Zeit verging, ohne dass sich etwas zwischen uns änderte. Im Gegenteil, Susanne begann plötzlich zu futtern, nicht nur das, was ich mühsam versucht hatte zu kochen, obwohl ich davon wenig verstand, sondern auch allerlei Ungesundes. Ich redete auf sie ein, an das Baby zu denken, doch sie lachte nur. Im fünften Monat besaß sie bereits einen Umfang wie im Achten. In der 36. Schwangerschaftswoche  erlitt sie eine Totgeburt, über die ich mehr trauerte als sie selbst.

 

Nach dem Krankenhausaufenthalt begann Susanne, ihren Körper ausgiebig zu trainieren, um bald wieder auf dem Laufsteg stehen zu können. Sie hungerte und wurde dabei unausstehlicher denn je, weil es ihr zu lange dauerte, bis sie ihre einstige Figur wieder zurück erhielt. Mein ganzes Zureden, die Dinge langsam anzugehen, half nichts.

„Hättest du mich nicht geschwängert, wäre das alles nicht passiert.“ Solche und andere, weit weniger freundliche Sätze musste ich mir in der nächsten Zeit anhören. Wo war meine Susanne? Wo war das hübsche, immer freundlich lächelnde Wesen, in das ich mich einst verliebt hatte? Ich hatte doch nur den einen Wunsch, so glücklich zu werden wie am Anfang, doch Susanne wurde mir immer fremder.

 

Als ihr Zeitvertrag nicht verlängert wurde und die Agenturen kein Interesse mehr an Susanne zeigten, war sie vorerst am Boden zerstört und tobte wie eine Wilde. Sie beruhigte sich allerdings rasch wieder und verbrachte fortan die Vormittage im Bett, die Nachmittage mit Freundinnen in der Stadt beim Shoppen und die Abende in Discos, Bars oder im Kino. Meist wurde es dann Mitternacht, bis sie nach Hause kam. Was ich auch zu ihrem plötzlichen Lebenswandel sagte, darüber lachte sie nur und sagte kalt:

„Das ist alles deine Schuld!“

 

Unser Zusammenleben wurde immer unerträglicher. Wir lebten nur noch nebeneinander her, taten nichts mehr gemeinsam außer zu streiten oder uns gegenseitig anzuschweigen. Als Susanne ihr Geld, das sie als Model verdient hatte, mit vollen Händen ausgegeben hatte, wandte sie sich an mich.

„Wenn du glaubst, ich finanziere dir dein ausschweifendes Leben, dann irrst du dich gewaltig“, hielt ich ihr vor.

„Wenn du dich schon nicht um den Haushalt kümmern willst, dann gehe wenigstens wieder arbeiten. Vielleicht hast du Glück und  kannst in deinen ehemaligen Beruf zurück.“

„Nachdem ich es geschafft hatte, Schönheitskönigin zu werden, arbeite ich doch nicht wieder als Dekorateurin im Kaufhaus“, stieß sie verächtlich zwischen den Lippen hervor. Ich gab darauf keine Antwort und verließ das Zimmer.

„Du bist schließlich verpflichtet, mich zu versorgen“, brüllte sie noch hinter mir her.

Aber ich hatte meinen Höhenflug hinter mir und geblieben war nur ein Gefühl der Trauer und der Leere. Aber noch hielt ich an unserer Ehe fest, hoffte in einem kleinen Winkel meines Herzens, dass sich doch noch alles zum Guten wenden würde. 

 

Ich ließ auf jeden Fall mein Konto sperren und überwies Susanne monatlich einen bestimmten Geldbetrag für private Dinge. Mit dem Ausgeben hatte sie keine Mühe und sie war schon zur Hälfte des Monats blank.  Ich arbeitete viel, rauchte wieder, aß in der Eckkneipe das Tagesmenü und machte so manche Überstunden. An den Samstagen putzte ich die Wohnung und aß an den Wochenenden bei Gabi, da meine Frau sich ihre Zeit anderweitig vertrieb und erst spät nach Hause kam.

 

Irgendwann war mir der ganze Ärger auf den Magen geschlagen und mein Arzt riet mir, dringend mal auszuspannen, Urlaub zu machen.

Susanne reagierte anders, als ich erwartet hatte. Nicht gleichgültig, sondern eher entsetzt. Davon unbeeindruckt, setzte ich mich an meinen PC und begann mit der Suche nach einem geeigneten Urlaubsziel. Durch Zufall gelangte ich zu einem Bericht über den Schwarzwald unter anderem über einen 900-Seelenort namens „Langenbrand“ eingebettet zwischen Tannenwäldern und dem Murgtal. Ich fühlte mich sofort von dieser Gegend angezogen und so stand mein Reiseziel fest.   

 

Ich legte Susanne beim Abschied sogar zweihundert Euro zusätzlich auf den Küchenschrank und verließ am Samstagvormittag frohen Herzens Saarbrücken.

Ich fuhr bis zum Rhein, den ich bei Speyer überquerte und mich Richtrung Schwarzwald hielt.  

  

Ich kam auf der Autobahn gut voran. Um die Mittagszeit war ich bereits an meinem Ziel angelangt.

Was für ein Unterschied, schoss es mir durch den Kopf, als ich die Dorfstraße entlang fuhr. Ein paar Kinder kamen mir auf ihren Fahrrädern entgegen und der ganze Stress und der Alltagstrott fielen von mir ab. Mühelos fand ich den „Blauen Anker“, in dem ich mir über Internet schon ein Zimmer hatte reservieren lassen. Herr Weiden, der  Wirt des Gasthofes, empfing mich freundlich und brachte mich sogar persönlich auf mein Zimmer.

„Unsere Küche ist bis 14 Uhr geöffnet, falls Sie noch zu Mittag essen möchten. Abends dann ab 18 Uhr“, sagte er. 

Da ich tatsächlich großen Hunger verspürte, wusch ich mir nur rasch die Hände und machte mich auf den Weg ins Speiselokal. 

 

Das erste Mal seit langem aß ich wieder mit großem Appetit. Das Essen schmeckte köstlich und ich trank zur Feier des Tages einen trockenen Rotwein dazu. Später, als ich ausgepackt hatte, machte ich einen ausgiebigen Spaziergang durch das Dorf. Die Sonne schien von einem strahlend blauen Himmel und ich fühlte mich so unbeschwert wie schon seit einer Ewigkeit nicht mehr.

 

So vergingen die ersten Tage. Ich lernte die nähere Umgebung und einige Menschen kennen. Am Mittwoch besichtigte ich die Kirche des Ortes und wanderte weiter, bis ich an die Schule kam. Dort schienen die Kinder gerade Pause zu haben, denn sie spielten auf dem Hof Fußball. Ich schaute ihnen dabei zu und dachte plötzlich an Susanne und mein Kind, das nicht leben durfte. In einigen Jahren wäre es auch zur Schule gegangen und hätte sicher Fußball gespielt.

„Was machen Sie denn da?“, eine Frauenstimme riss mich aus meiner Versunkenheit, und ich drehte mich erschrocken um.

„Verschwinden Sie, sonst rufe ich die Polizei.“ Sie meinte es ernst, das erkannte ich sofort an ihrem Gesichtsausdruck. Doch was ich nicht verstand, war ihr Verhalten mir gegenüber.

Da läutete es und die energische Dame wandte sich zum Gehen.

„Ich hoffe, Sie lassen sich hier nicht noch einmal blicken“, sagte sie und verschwand. Ich schüttelte den Kopf und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Sie hatte mich anscheinend für einen Sittenstrolch gehalten, der es auf kleine Kinder abgesehen hat. Da ich dies aber nicht auf mir sitzen lassen konnte, entschloss ich mich, die Sache aufzuklären.

 

„Marco!“, hörte ich da meinen Namen rufen, oder war gar nicht ich gemeint?

„Marco Kluge! Mensch Junge, bist du es wirklich?“ Dann galt der Ruf also doch mir, und ich drehte mich um. Ein Mann, etwa in meinem Alter, kam auf mich zu. Ich erkannte in ihm Fred Winkler, mit dem ich zusammen die Schulbank  gedrückt und das Abitur gemacht hatte. Während Fred anschließend Pädagogik studierte, absolvierte ich nur eine Lehre in der Elektronik. Der Kontakt zwischen uns riss ab und wir verloren  uns aus den Augen. Ich traf irgendwann einmal seine Mutter, die mir erzählte, Fred würde als Lehrer in Stuttgart arbeiten, das musste  schon gut zehn Jahre zurück liegen.

„Freddi, machst du etwa auch Urlaub?“, fragte ich verdutzt.

„Urlaub? Du bist gut. Ich lebe hier und bin seit einem Jahr der Schulleiter.“

 

Nun erzählte er mir in wenigen Sätzen, dass er vor längerer Zeit als Aushilfslehrer für sechs Monate an die hiesige Grundschule  versetzt worden war. Damals verliebte er sich nicht nur in diese Gegend, sondern auch in die Frau seiner Träume. Kurzerhand stellte er Antrag auf  Versetzung, und das wurde ihm auch genehmigt.

„Seitdem bin ich nun hier und habe es noch keinen Tag bereut.“ Fred sah zur Uhr.

„Ich komme gerade von einer Gemeindeversammlung, jetzt habe ich in zehn Minuten eine Besprechung. Du musst mich entschuldigen, aber möchtest du nicht heute Abend zu uns auf ein Gläschen Wein kommen? Dann lernst du auch meine Miriam und unsere Zwillinge kennen.“

Ich nahm diese Einladung dankend an. 

Fred nannte mir noch die Adresse und ging. 

 

Im „Blauen Anker“ aß ich, wie an jedem Tag, zu Mittag, und fuhr anschließend mit dem Auto in der wunderschönen Landschaft herum. Ich fühlte mich so wohl wie schon lange nicht mehr und vermisste weder Susanne noch den Rummel der Großstadt. Hier fand ich endlich Ruhe und Muse, einmal etwas  für mich selbst zu tun. Zeit schien in dieser Umgebung eine ganz andere Bedeutung zu haben, und mir graute schon davor, am Sonntag zurück zu fahren.

 

Ich freute mich auf den Abend bei den Winklers und dachte plötzlich wieder an die kleine Szene vor dem Schultor. Sicherlich würde ich die energische Dame nicht nochmals treffen. Pünktlich um 19:00 Uhr klingelte ich an der Tür des hübschen, kleinen Reihenhauses. Frau Winkler öffnete.

„Sie sind sicher Marco, hab ich Recht?“, fragte sie freundlich.

„Ja, es freut mich, Freddis Frau kennen zu lernen.“

„Nennen Sie mich ruhig Miriam, Frau Winkler klingt irgendwie ungewohnt.“ Sie lachte und gewann damit sofort meine Sympathie. Ich lernte auch noch Florian und Larissa, die Zwillinge kennen. Sie waren zwei Jahre alt und Miriam brachte sie kurz nach der Begrüßung ins Bett.

„Setz dich, alter Junge“, forderte mich Fred auf.  „Ich bin wirklich froh, dich so unverhofft getroffen zu haben. Hast du noch Kontakt mit der Klasse?“

Ich nannte ihm ein paar Namen aus unsrem Jahrgang, die ich hin und wieder traf, es bestand jedoch kein Dauerkontakt.  Das Telefon klingelte und Fred nahm ab. In diesem Augenblick läutete es auch an der Haustür.

„Öffnest du bitte, Marco, ist sicher Liliane, Miriams Schwester“, bat er mich, „Sie unterrichtet auch hier an der Schule.“

Ich machte die Haustür auf und glaubte, mein Herz setze aus. Draußen stand keine Geringere, als die energische Dame, die mich so unfreundlich vor dem Schultor zurechtgewiesen hatte. Ich glaube, sie war genauso erschrocken, wie ich.

 

Ein paar Sekunden standen wir uns stumm gegenüber, dann machte ich ihr Platz, damit sie eintreten konnte.

„Sie sind also Freds Schulfreund, den ich unbedingt kennen lernen soll“, sagte sie mit leiser Stimme. In diesem Moment kam Miriam die Treppe vom Obergeschoss herunter.  Sie begrüßte ihre Schwester und machte uns miteinander bekannt. Die  Verlegenheit zwischen Liliane und mir bemerkte sie zum Glück nicht. Wir setzten uns  ins Wohnzimmer. Fred hatte sein Telefonat beendet und goss gerade Wein in vier Gläser. Dann reichte er jedem eines und wir prosteten uns zu.

 

In den nächsten zwei Stunden erzählte ich von meiner kleinen Computerfirma und natürlich auch, dass ich seit etwas über zwei Jahren verheiratet bin. Wie es allerdings um diese Ehe bestellt war, verschwieg ich. Auch Fred berichtete, was er in den letzten Jahren gemacht hatte.  Die Frauen hörten uns aufmerksam zu.  

„Warum ist Ihre Frau denn nicht mitgekommen?“, fragte  Liliane so unverhofft, dass ich erst einmal gar nichts erwidern konnte. Dann sagte ich kurz:

„Sie hatte andere Pläne.“

Liliane schien sich mit dieser Antwort zufrieden zu geben und wir unterhielten uns nun über Belanglosigkeiten. Gegen halb Zwölf erhob ich mich.

„Es wird allmählich Zeit, aufzubrechen und ihr müsst morgen sicher früh aus den Federn. Ich habe den Abend sehr genossen und hoffe, wir können ihn noch einmal wiederholen, bevor ich Sonntag heimfahre.“

„Das machen wir bestimmt“, freute sich Fred und Miriam stimmte ihm zu.

„Für mich wird es auch Zeit.“ Liliane hatte sich ebenfalls erhoben.

„Liliane ist zu Fuß gekommen, würdest du sie begleiten?“, fragte Fred und ich wollte.  

 

Zuerst gingen wir einige Minuten schweigend nebeneinander her, dann meinte Liliane: „Ich sollte mich wohl für meine Reaktion heute Morgen entschuldigen. Aber Sie müssen zugeben, dass Sie sich sehr eigenartig vor dem Schulgebäude verhalten haben.“

„Ich habe den Kindern nur beim Fußballspielen zugeschaut, was ist daran verwerflich? Ist denn jeder, der das tut, schon ein Krimineller?“

„Natürlich nicht. Doch es geschehen so viel Verbrechen, hauptsächlich an Kindern und unsre Aufgabe ist es, sie davor zu schützen.“

In diesem Punkt stimmte ich Liliane zu.

Sie bewohnte eine kleine Zwei-Zimmerwohnung in einem 4-Familienhaus. Vor der Eingangstür wünschten wir uns eine gute Nacht.

„Wollen wir uns morgen nach Ihrem Unterricht treffen?“, fragte ich noch schnell, bevor sie im Hausflur verschwand. Ich hoffte auf eine Zusage.

„Was würde Ihre Frau dazu sagen?“, fragte sie überrascht.

„Darüber mache ich mir kaum Gedanken, zumal ich Sie ja lediglich um eine Verabredung bitte.“

„Ich habe um 13 Uhr Schulschluss. Wir könnten anschließend in einen kleinen Gasthof außerhalb des Dorfes zum Essen gehen. Aber nur, wenn es Ihnen Recht ist“, meinte sie zaghaft.

Mir gefiel der Vorschlag und wir verblieben so.

 

An diesem Abend schlief ich lange nicht ein, weil ich an meine Begegnung mit Liliane denken musste. Auch der gemeinsame Abend mit Fred und Miriam zog noch einmal in Gedanken an mir vorüber.

 

Hatte ich Liliane anfangs für etwas kühl gehalten, so musste ich diese Meinung in den letzten Tagen meines Urlaubs revidieren. Wir trafen uns so oft es  möglich war, und am Samstagmittag lud Fred zum Grillen ein. Es war ein herrlicher Tag und ich konnte kaum glauben, dass meine Zeit dem Ende zuging. Die schönen Stunden bei den Winklers verstrichen leider viel zu schnell und dann nahte der Abschied.

„Schade, dass du morgen schon wieder nach Saarbrücken musst“, bedauerte Fred und Miriam meinte:

„Komm uns doch recht bald wieder einmal besuchen.“

Das versprach ich. Wir hatten uns alle auf das Du geeinigt.

Ich umarmte Miriam zum Abschied, klopfte Fred freundschaftlich auf die Schulter und machte mich mit Liliane auf den Heimweg. Wir schwiegen eine Weile, dann fragte ich zaghaft:

„Möchtest du auch, dass ich wiederkomme?“ 

„Es ist nicht meine Art, mich in eine Ehe einzumischen, Marco. Also ist es besser, wir sehen uns nicht wieder.“

„Ich wünsche es mir aber wirklich, Liliane, und meine Ehe..“, ich unterbrach meinen Satz und schwieg einen Moment,

„Das ist eine Sache, über die ich nicht reden möchte. Nun, willst du mich wieder sehen?“ Ich wartete auf ihre Antwort.

Wir waren vor ihrer Wohnung stehen geblieben.

„Also gut, ich würde mich auch über ein Wiedersehen freuen. Bist du nun zufrieden?“

Ich nahm sie behutsam in den Arm und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange.

„Ja, Liliane. Ich komme wieder, darauf hast du mein Wort.“

 

Die folgende Zeit möchte ich gar nicht erst beschreiben. Alles lief so weiter, wie es vor meinem Kurzurlaub gewesen war. Susanne gab ihr großzügiges Taschengeld, das einer vierköpfigen Durchschnittsfamilie für den ganzen Monat gereicht hätte, mit vollen Händen aus und hatte nicht einmal ein schlechtes Gewissen dabei, selbst ihre Freundinnen anzupumpen. Auch der Gedanke, arbeiten zu gehen, gefiel ihr immer noch nicht.

Ich dachte sehr oft an Liliane, die hübsche Dorfschullehrerin. Sie gefiel mir recht gut, doch in meiner momentanen Situation an eine neue Liebe zu glauben, ließ die Enttäuschung mit Susanne nicht zu.

 

Von allen Seiten wurde ich bedrängt, mich endlich scheiden zu lassen. Schon vor meinem Kurzurlaub hatte ich daran gedacht, doch der letzte Anstoß war eine Rechnung. Sie flatterte etwa vier Wochen später auf meinen Schreibtisch im Büro und verschlug mir fast den Atem. Ich sollte an ein Versandhaus eine Summe in vierstelliger Höhe zahlen. Zuhause stellte ich Susanne umgehend zur Rede. Ich hielt ihr dabei die Rechnung vors Gesicht.

„Das Fass ist voll, Susanne. Diese Rechnung werde ich nicht zahlen, darauf kannst du dich verlassen.“

Sie brach sofort in Tränen aus und das waren ganz neue Töne. Die hätten mich noch vor einigen Monaten milde gestimmt, jetzt aber nicht mehr.

„Ich gebe dir monatlich tausend Euro. Wofür gibst du die aus? Du kaufst nichts für den Haushalt, keine Vorräte, also, was machst du mit all dem Geld Monat für Monat?“

 

Ich wartete nicht erst, bis sie mir irgendwelche Lügen auftischte, und ging in ihr Schlafzimmer – wir schliefen getrennt. Ich riss die Türen zu ihrem Kleiderschrank auf und fiel fast aus allen Wolken. Was sich mir bot, war kaum zu glauben. Der Schrank platzte bald aus den Nähten, und ich konnte mir nun diese hohe Rechnung erklären.

„Nun ist es endgültig genug, Susanne. Ich werde mich von dir scheiden lassen.“

„Dann tu’s doch. Unterhalt musst du mir sowieso zahlen und das nicht zu wenig“, lachte sie schrill und knallte die Schranktüren zu.

„Das werden wir ja sehen“, sagte ich mit ruhiger Stimme und wunderte mich, dass ich so gefasst war.

 

Nach drei Wochen waren die Würfel gefallen. Ich wollte Saarbrücken für immer den Rücken kehren und mich in Langenbrand nieder lassen. Mein Angebot, ihr vorerst die Wohnung zu überlassen, lehnte Susanne  ab und fand bei einer Freundin Unterschlupf. Wenn sie allerdings geglaubt hatte, ich finanziere ihre Faulheit bis in alle Ewigkeit, sollte sie sich getäuscht haben. Zum Glück fand ich einen fähigen Anwalt, der für mich alles regelte, auch die vorläufige finanzielle Unterstützung für Susanne. Dann bot ich meine Firmenanteile zum Kauf an. Johannes nahm diese Entscheidung zwar zähneknirschend zur Kenntnis, doch er wollte mir keinerlei Steine in den Weg legen. Nach einer Woche stellte er mir einen Bekannten vor, der sich als seriöser Käufer entpuppte.

 

Alles ging erfreulicherweise gut voran. Nachdem ich mein Girokonto aufgelöst und das Geld aus dem Verkauf meines Firmenanteils auf ein Sparbuch eingezahlt hatte, hielt mich nichts mehr in Saarbrücken. Ich war nur von dem einen Gedanken beflügelt, so schnell wie nur möglich fort zu kommen. Auf die Scheidung konnte ich auch an meinem neuen Wohnort warten. Die genauere Anschrift würde ich meinem Anwalt mitteilen. Meine Eigentumswohnung behielt ich vorerst noch und hielt das Angebot, dass Susanne dort wohnen konnte, noch immer aufrecht.

Von Gabi und ihrer Familie fiel mir der Abschied schwerer, als ich gedacht hatte, doch wir wollten uns so oft besuchen, wie es ging.

 

Es war an einem frühen Sommerabend, als ich in meiner neu erwählten Heimat ankam. Bis ich eine Mietwohnung gefunden hatte, wollte ich im „Blauen Anker“ wohnen. Ich überlegte,  ob ich Fred und Miriam noch aufsuchen sollte, entschied mich aber dagegen. Stattdessen rief ich kurzerhand Liliane an, doch es war nur ihr Anrufbeantworter eingeschaltet.

Ich packte nur meinen kleinen Reisekoffer aus, weil ich gleich am nächsten Tag mit der Suche nach einer geeigneten Wohnung beginnen wollte. Im Lokal aß ich noch eine Kleinigkeit und setzte mich anschließend noch auf ein Bier in den gemütlichen Biergarten.

 

Am nächsten Morgen stand ich wie schon einmal vor dem hohen Zaun der Grundschule und beobachtete die Kinder beim Spielen. Jemand berührte von hinten meine Schulter und eine Stimme sagte:

„Ich glaube, ich habe Sie schon einmal verwarnt.“

Doch diesmal klangen die Worte nicht unfreundlich, sondern wurden von einem Lachen begleitet. Ich drehte mich um.

„Du hast gewusst, dass ich es bin?“, fragte ich verwundert und sie lächelte wieder.

„Ja Marco, ich habe dich schon von weitem erkannt. Wieder im Urlaub?“

„Nein, das heißt so lange, bis ich hier eine Arbeit gefunden habe.“

„Das musst du mir näher erklären“, erwiderte sie. „Doch jetzt muss ich zum Unterricht. Holst du mich gegen 13 Uhr ab?“

Das versprach ich ihr gerne.

 

Die Monate vergingen und bald war ich ein halbes Jahr in Langenbrand, erlebte mit Liliane, Fred, Miriam und den Zwillingen meinen ersten Winter im Schwarzwald. Kurz vor Weihnachten war ich in meine neue Wohnung gezogen und meine Arbeit in der Nachbargemeinde machte mir viel Spaß.  

Ich war zwar noch immer nicht von Susanne geschieden, doch froh darüber, dass sie wenigstens eine Arbeit angenommen hatte, wie mir mein Anwalt mitteilte.  

Als wir an einem kalten Wintertag, Ende Januar, durch den Schnee stapften, fragte mich Liliane, die mittlerweile die ganze traurige Geschichte von Susanne und mir kannte: „Bereust du es, hierher gezogen zu sein?“

„Nein“, antwortete ich mit fester Stimme. „Hier möchte ich den Rest meines Lebens verbringen.“

„Hier auf dem Land? Wo du doch das Stadtleben gewohnt bist.“

„Klingt das so unwahrscheinlich? Schon bei meinem ersten Besuch habe ich mich in diese Idylle verliebt. Du traust einem Mann wohl keine Romantik zu, oder?“

„Doch“, lachte Liliane. „Ich freue mich, dass du so empfindest.“

Ich drückte ihre Hand und war ganz einfach nur glücklich. Mir ging es gut und meinem Magen auch. Als ein paar Kinder mit ihrem Schlitten an uns vorbei fuhren, dachte ich einen Moment lang daran, dass ich fast Vater geworden wäre. Aber wer weiß? Noch war ich nicht zu alt für eine solche Rolle. Ich wollte nichts überstürzen, und Liliane verstand das. Sie drängt mich auch nicht, mit ihr zusammen zu ziehen, obwohl ich öfter bei ihr übernachtete als in meiner Wohnung. Ich war gerne in ihrer Gesellschaft und wusste längst, dass sie mich liebte, aber den endgültigen Schritt brachte ich noch nicht über mich. Enes Tages, da war ich mir sicher, würde ich ihr meine Liebe gestehen können, doch so, wie es jetzt zwischen uns lief, war es vollkommen in Ordnung.  

 

 

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